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Montag, 6. September 2010

Der Stilbestimmer geht zum Schuhputzer

Künftig veröffentlichen wir im GAZZETTINO - leicht gekürzt und geändert - ausgesuchte Artikel aus dem Blog "Der Stilbestimmer". Der sagt nämlich, wo's lang geht. Er erwartet allerdings nicht, daß Mann ihm blindlings folgt. Mitunter genügte schon ein Schmunzeln. Heute folgen wir ihm. Zum Schuhputzer.

Club Salon Baba
L'art du cirage et du glaçage  
Oft wird vergessen, daß die Dienstleistung am Gentleman ja auch immer ein Akt der Kommunikation ist, oder sollte man besser sagen: war. Mit unserem Barbier an Hannovers Steintor können wir uns nicht unterhalten. Er spricht nur türkisch. 

In der Heimat des Gentleman mag das hie und da noch etwas anders sein. Im The Connaught (dem besten Hotel Londons - wer das Gegenteil behauptet ist blöd) wird der Gang zum Klo zum Vergnügen. Denn auf dem stillen Örtchen hinter der Lobby wartet das vertraute Gesicht eines in Ehren gealterten, nun..., sagen wir mal: "Facility Managers" - wie es heute wohl heißen muß. 

Der livrierte Schwarze reicht das Frottée. Und die sich anschließende Diskussion, Tropfen welchen Eau de Toilettes er seinem Gast wohl in den Nacken sprühen dürfe, gehört zu den vergnüglichsten Momenten des Tages.

The Connaught Hotel
Ein paar Schritte weiter östlich in diesem wunderbaren Mayfair, in der Burlington Arcade, sitzt ein Schuhputzer - mehr als Deko denn als Service, übrig geblieben von einem ganzen Heer dienstbarer Geister, die früher - so wird erzählt - mit Wichse und Bürste durchs borough wieselten. Immerhin: der hier macht seine Sache gut - für 3 Pfund. Doch ist dies nur noch ein Abgesang. Wie ja die ganze Arkade im Grunde genommen nur noch Zierart und Folklore ist. Für die hier angebotenen Produkte und Dienstleistungen gibt es eigentlich keinen messbaren Markt mehr. Vis-à-vis vor dem Flagship von Abercombie&Fitch versuchen zwei muskelbepackte Türsteher die Massen zu bändigen... Heute will halt jeder nur noch ein Leibchen, auf dem steht: "A.F.".

Das Aussterben bedrohter Servicearten ein wenig hinauszuschieben, das hat sich ein senegalesischer Dipolomatensohn aus Paris auf die Fahnen geschrieben. Papa "Baba" Conrad Sarr. Und er geht sogar noch weiter, er kehrt den fatalen Trend um! Sein Schuhputzladen, der Club Salon Baba in einer Querstraße der Champs-Eylsées, ist der exklusivste und charmanteste hot spot des gesamten 8. Arrondissement. Le plus cool.

Le Club Salon
Zunächst einmal: Das Handwerk wird hier zelebriert wie eine Kunstform. Und so nennt Baba es auch: l'art du cirage et du glaçage. Mit seiner geheim gehaltenen Technik, die er nur noch an seine gazellenhafte Assistentin und Freundin weitergegeben hat, bringt er Schuhe derart zum Glänzen und Strahlen, daß es eine Wonne ist. Das dauert mitunter aber auch schon mal bis zu 20 Minuten - kostet aber immer nur 10 Euro, und wenn man lieb ist, versteht sich der Preis sogar inklusive Espresso oder Champagner. Und lieb sind hier die meisten, denn dieser schöne, warmherzige, freundliche Mensch, der noch in Sneakers Eleganz ausstrahlt, versammelt die feinsten Exemplare der jeunesse dorée in seinem kleinen Schuhputzlädchen. Es ist wie in einem Taubenschlag, bloß daß hier fast ausschließlich der Typ Paradiesvogel zur Tür hineinflattert, darunter zur Hälfte Weibchen.
Man spricht über Neuigkeiten aus dem Quartier, über Reisen, die schönen Künste, Afrika, Martin Luther King... und über Schuhe! Mit einem Billigfabrikat oder gar einem Loch in der Sohle sollte man den Club Salon Baba tunlichst nicht aufsuchen, denn um sich zu blamieren, gibt es bestimmt bessere Orte als diesen Hort lässiger Kultiviertheit und selbstverständichen Stils.            
AXEL FELSENSTEIN

Babas Gästebuch: Frankreichs Jeunesse Dorée

Eine schöne Reportage über den Club Salon, der wir dieses Foto entnommen haben, gibt es auch hier: De Jeunes Gens Modernes.



Die ungekürzte Original-Fassung dieses Artikels und andere "Bestimmungen" finden Sie in dem Blog "Der Stilbestimmer".

Mittwoch, 4. November 2009

Schneller als die Polizei erlaubt

Auszüge aus einem Artikel in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 09.05.2004

Jahrelang war der Film nur ein Phantom. So wie sich hartnäckig das Gerücht hält, im Untergrund gebe es sogenannte snuff movies, die tatsächlich zeigen, wie Menschen vor der Kamera umgebracht werden, so galt dieser Film als eine Art feuchter Traum von Autobahnrasern.

Die nur knapp neun Minuten sind vielleicht der schönste und verrückteste Dokumentarfilm, der je gedreht worden ist. Es beginnt mit einer Einblendung, auf die der Regisseur Wert gelegt hat: In diesem Film gebe es weder Tricks noch Zeitraffer. Und die Bewegungen der Passanten und der im gelben Scheinwerferlicht auffliegenden Tauben belegen, daß das nicht gelogen ist. Aber die Warnung ist berechtigt, weil es heutzutage ganz andere Methoden gibt, die Zuschauer hinters Licht zu führen und es noch nicht einmal mehr hilft, wenn man die Augen aufhält. Aber dies ist 1976, als ein Film noch ein Film war und keine digitalen Tricks dem Material ihren Willen aufzwingen konnten. Hier ist also ein Filmemacher, der mit seinem Leben für die Authentizität des gedrehten Materials einstand, und was immer man über die parfümierten Filme von Claude Lelouch denken mag: Die bei den Dreharbeiten von "Ein Hauch von Zärtlichkeit" übriggebliebene Filmrolle, die er an diesem Augustmorgen im Jahr 1976 in seine Kamera einlegte, spricht eine andere Sprache. Was man da sieht, ist mehr als nur ein Hauch von Leichtsinnigkeit.



Es geht los auf dem Peripherique, wo die Kamera an der Porte Dauphine aus einem Tunnel auftaucht und die Abfahrt hinaufschießt zur Avenue Foch, die den Schlaf des Großbürgertums mit Bäumen vor dem Verkehrslärm schützt. Man hört das Heulen des V12-Motors, das Schalten der Gänge und das Quietschen der Reifen und gerät durch die bodennahe Perspektive, die das Straßenpflaster wie in einem Sog zu beschleunigen scheint, schnell in einen tranceartigen Geschwindigkeitsrausch, der tatsächlich an Computerrennspiele wie "Need for Speed" erinnert. Hinauf zum Arc de Triomphe, wo die letzten Nachtschwärmer sich nach Hause orientieren, die Champs-Elysées hinab zum Concorde, da ist das erste halbe Dutzend roter Ampeln bereits überfahren. Am Ende werden es fünfzehn sein, aber auch ohne Ampeln wird die Vorfahrt fröhlich mißachtet.

Über den Quai des Tuileries geht es durch den Jardin du Carrousel im Hof des Louvre, ohne rechts oder links zu gucken, Richtung Opéra. Kurz davor stehen die Ampeln wieder auf Rot. Ausweichen auf die Gegenfahrbahn, Augen zu und durch, an den Galeries Lafayette vorbei zu Trinité und weiter zum Pigalle. Die Straßen werden enger, die Müllabfuhr ist unterwegs, scharfes Abbremsen, eine Frau mit Hund drückt sich erschreckt an die Häuserwand, beim Pigalle dann links den Boulevard de Clichy hinauf. An der Place Blanche eine kurze Irritation: Der Wagen schwenkt nach rechts, überlegt es sich dann doch anders und fährt geradeaus zum Friedhof, rechts in die Rue Coulaincourt, die in einem Bogen den Montmartre hinaufführt.
Man weiß nicht, ob sich der Fahrer an der Place Blanche geirrt hat oder ob ein Hindernis in Sicht kam - der Wagen schwenkt zu früh zurück. Aber noch während man darüber nachdenkt, schwenkt er in einem U-Turn in die Avenue Junot, die den Hügel noch mal umrundet, in die Rue Norvins mündet und über die Place du Tertre zu Sacre-Coeur führt. Zu Füßen der Basilika kommt der Wagen oberhalb der Treppe zum Stehen, eine blonde Frau kommt die Stufen emporgelaufen, der Fahrer steigt aus, läuft auf sie zu und umarmt sie, dann die Einblendung: "C'etait un rendezvous filme par Claude Lelouch". Den Kopf des Fahrers sieht man nicht, aber seine Statur ähnelt der des Regisseurs. 7:52 Minuten hat er quer durch Paris gebraucht, von der Porte Dauphine bis zu Sacre-Coeur, eine Strecke, für die man zu Stoßzeiten auch gut mal eine Stunde brauchen kann.

Claude Lelouch hat sich nach jahrzehntelangem Schweigen doch noch zu dem Film geäußert: Die Blondine, die ihn zum Rendezvous erwartet, sei seine damalige Lebensgefährtin Gunilla Karlzon gewesen, die sich aufs Motorengeräusch hin in Bewegung gesetzt habe. Und an der einzig wirklich gefährlichen Stelle, aus dem Louvre hinaus über die Rue de Rivoli in die Avenue de l'Opéra, habe er seinen Assistenten Elie Chouraqui mit einem Sprechfunkgerät postiert für den Fall, daß ein anderer Wagen dazwischenkommt. Der habe sich aber nicht gerührt, weshalb Lelouch mit Vollgas durchgefahren sei. Hinterher sei Chouraqui zu ihm gekommen und habe sich entschuldigt, daß das Funkgerät nicht funktioniert habe - da dämmerte Lelouch erst, was für ein Glück er gehabt hat. Der Puls des Zuschauers ist an dieser Stelle ohnehin auf 180.

Die einzige Enttäuschung erwartet einen, wenn man sich die Mühe macht, die Geschwindigkeit tatsächlich zu messen. Dann stellt man fest, daß Lelouch für 1910 Meter Champs-Elysées 64 Sekunden braucht, was ein Tempo von nur 110 km/h ergibt - aber es ist in jedem Fall schneller, als die Polizei erlaubt.